Prof. Dr. Michael Nagel
Am 1.9.2001 wurde an der ZWE Deutsche Presseforschung der Universität Bremen das Referat „Deutsch-jüdische Presse“ eingerichtet. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die historische deutsch-jüdische Presse bislang kaum wissenschaftlich erschlossen ist, obwohl sie einen wichtigen Bestandteil innerhalb der deutschen Presse, gleichzeitig einen besonders bedeutsamen Quellenfundus für Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte darstellt. Hauptsächliche Ziele der neuen, im Aufbau befindlichen Einrichtung sind die Forschung und Lehre zur deutsch-jüdischen Presse vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit sowie die Sammlung und Archivierung historischer deutsch-jüdischer Periodika und der Literatur zu diesem Thema. Der Kooperation und dem Austausch mit anderen Instituten zur Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte im In- und Ausland wird eine besondere Bedeutung beigemessen.
Untersuchungsgegenstand
Seit dem 18. Jahrhundert entwickelte sich im deutschsprachigen Raum eine jüdische periodische Presse, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein Bestand hatte. Eng korrespondieren diese Zeitschriften, Zeitungen, Kalender, Almanache, Jahrbücher etc. mit der politisch-sozialen Geschichte des deutschen Judentums. Mehr als fünfhundert solcher deutsch-jüdischer Periodika lassen sich seit der Aufklärung nachweisen. Manche hielten sich nur wenige Wochen lang, andere existierten über viele Jahrzehnte. In Inhalt und Gestaltung erscheinen sie alle als lebendige Zeugen ihrer Zeit. Sie sind ein Spiegel der innerjüdischen religiösen, wissenschaftlichen und literarisch-kulturellen Strömungen, sie zeugen vom Bemühen um Bürgerrechte und gesellschaftliche Anerkennung bei gleichzeitiger Bewahrung einer jüdischen Identität, und sie dokumentieren die Abwehr des Antisemitismus. Zwischen 1933 und 1938 erscheinen sie unter dem gewaltsamen Diktat der kulturellen und gesellschaftlichen Ausgrenzung und stellen in dieser Zeit ein publizistisches Forum für Humanität und Toleranz inmitten der zunehmenden Barbarei dar.
Obwohl die deutsch-jüdische Presse eine wichtige, vielfach die einzige Quelle für zentrale Fragen in der Geschichte des deutschen Judentums darstellt, ist sie bislang nur wenig erforscht. Dabei bietet sie eine Fülle von historischen Informationen und vermittelt eine Innensicht auf die Vergangenheit des deutschen Judentums: Anders als bei außerjüdischen Quellen stehen hier der eigene Beitrag zur Gestaltung einer deutsch-jüdischen Existenz und die aktive Mitwirkung am Zeitgeschehen im Vordergrund.
Untersuchungsgegenstand des Referates „Deutsch-jüdische Presse“ sind in erster Linie die von jüdischen Redakteuren, Autoren und Herausgebern vor allem für ein jüdisches Publikum zusammengestellten Zeitungen, Zeitschriften, Gemeindeblätter, Jahrbücher, Jahresberichte, Almanache, Kalender etc., wie sie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum zum Druck kamen. Neben den Urhebern und der Leserschaft zeigen diese periodisch erschienenen Werke als eine weitere Gemeinsamkeit die Hinwendung zu Themen des deutsch-jüdischen Lebens, sei es in politisch-sozialer oder in kultureller Hinsicht. Die Mehrzahl der deutsch-jüdischen Periodika erschien in deutscher Sprache. Einige sind auch hebräisch oder zweisprachig verfasst, eine geringere Anzahl jiddisch und deutsch in hebräischer Schreibweise. Zum Untersuchungsgegenstand gehören auch deutschsprachige jüdischen Periodika aus solchen Ländern und Orten, in denen das Deutsche in der Vergangenheit eine unter mehreren Verkehrssprachen war.
Archivierung, Bestandsverzeichnis, Forschungsliteratur
Als Teil des „Mikrofilmarchivs der Deutschen Presse“ an der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen – dies ist die weltweit umfangreichste Sammlung verfilmter historischer deutschsprachiger Zeitungen und Zeitschriften – soll nach und nach ein verfilmter Bestand der deutsch-jüdischen Periodika vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart aufgebaut werden. Hierbei ist größtmögliche Vollständigkeit angestrebt. Ein kommentiertes, sachlich indiziertes und nach biographischen Zusammenhängen abfragbares Bestandsverzeichnis wird die Sammlung „Deutsch-jüdische Presse seit der Aufklärung“ inhaltlich erschließen. Begleitend zur Archivierung der historischen deutsch-jüdischen Periodika wird die einschlägige aktuelle und ältere Forschungsliteraturzusammengetragen.
Zugang online
Es ist geplant, neben dem Bestandsverzeichnis der in der „Deutschen Presseforschung“ verfügbaren deutsch-jüdischen Periodika auch eine Datenbank „Literatur zur deutsch-jüdischen Presse“ online anzubieten. Diese Datenbank soll bibliographische, biographische und inhaltliche Hinweise zur Forschungsliteratur geben.
Forschung
Neben eigenen Projekten möchte das Referat weitere Studien mit einem Bezug zur Thematik der deutsch-jüdischen Presse unterstützen, beispielsweise zu Examensarbeiten und Dissertationen in diesem Gebiet anregen. Über das eigentliche Gebiet der deutsch-jüdischen Presse hinaus können inhaltlich benachbarte Fragen zur Geschichte des deutschen Judentums und seiner periodischen Publizistik behandelt werden, z.B. Untersuchungen
– zur Resonanz auf die deutsch-jüdische Presse in der nichtjüdischen Publizistik,
– über Bilder vom Judentum in der historischen nichtjüdischen Publizistik,
– zum Vergleich der deutsch-jüdischen Presse mit jüdischen Periodika in anderen Ländern.
Aktuelles
Auf Vorschlag einiger auswärtiger Kollegen wird das Referat „Deutsch-jüdische Presse“ online über neuere Entwicklungen in der einschlägigen Forschung, über Publikationen – auch Abschlussarbeiten -, Tagungen, Einzelvorträge etc. informieren. Dafür sind wir auf die Mithilfe interessierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angewiesen: Bitte unterstützen Sie die Rubrik „Aktuelles“ durch entsprechende Mitteilungen an die Adresse nagel@uni-bremen.de.