PD Dr. Astrid Blome
Am 5. Januar 1722 erschien mit den Wochentlichen Franckfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten das erste selbstständige deutsche Intelligenz- oder Anzeigenblatt (von lat. intellegere im Sinne von Einsicht nehmen, Kenntnis haben). Der Buchdrucker Anton Heinscheidt begründete damit ein Periodikum völlig neuen Typs, das sich innerhalb weniger Jahrzehnte als eine der wichtigsten Konstanten des frühneuzeitlichen Pressewesens etablierte. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, dem zeitlichen Endpunkt der Untersuchung, wurden rund 550 Intelligenzblätter unter Titeln wie „Frag- und Anzeigungs-Nachrichten“, „Wöchentliche Nachrichten“, „Intelligenzblatt“ oder „Intelligenz-Zettel“ im deutschen Sprachraum gegründet.
Im Gegensatz zu den über aktuelle Ereignisse berichtenden politischen Zeitungen und zu den räsonnierenden Zeitschriften nahmen sich die Intelligenzblätter scheinbar unspektakulär aus, denn ihr Inhalt war unmittelbar auf die lebenspraktischen Bedürfnisse eines lokalen bzw. regionalen Lesepublikums konzentriert.
Als Mitteilungsorgane obrigkeitlicher Nachrichten waren sie erstens zentrale Medien der administrativen Normkommunikation bis zur Gründung der Amts- und Gesetzblätter im 19. Jahrhundert. Sie dienten der Publikation von amtlichen Mitteilungen aller Art, von anlassbezogenen Bekanntmachungen, Verordnungen und Gesetzestexten.
Zweitens enthielten sie das gesamte Spektrum privater und gewerblicher Annoncen und vermittelten so Angebot und Nachfrage für den privaten und gewerblichen Warenaustausch. Aus diesem Grund wiesen ihnen die Zeitgenossen eine zentrale Funktion als Instrument der Wirtschaftsförderung auch über die Grenzen des jeweiligen Territoriums zu, in dem sie erschienen.
Diese praktischen Dienstleistungsfunktionen wurden drittens ergänzt von teilweise recht umfangreichen redaktionellen Beiträgen, die unterhaltend und gleichzeitig belehrend wirken sollten. Die Anzeigenblätter wurden damit zu Multiplikatoren aufklärerischer und volksaufklärerischer Ideen, geprägt von den individuellen Interessen und Fähigkeiten des Herausgebers im Rahmen der jeweils geltenden obrigkeitlichen Vorgaben.
Als städtisches oder territoriales Periodikum dienten die Intelligenzblätter Amts- und Funktionsträgern ebenso wie allen „Privatpersonen“ als Informationsmedium aus der und für die Region. Sie erfüllten eine publizistische Schlüsselfunktion als zentrale Medien einer in mehrfacher Hinsicht öffentlichen Kommunikation, indem sie erstmals auf regionaler Ebene allen Bewohnern gemeinsam nutzbare Kommunikationsstrukturen zur Verfügung stellten. Besonders in den weniger erschlossenen, ländlicheren Gebieten des Reiches waren sie häufig bis in das 19. Jahrhundert hinein das einzige lokale Presseerzeugnis. Ihr praktischer Gebrauchswert für die territorialen Obrigkeiten, für Handel- und Gewerbetreibende und für jeden, der etwas mehr über die Verhältnisse „vor Ort“ erfahren wollte, bildete die Grundlage für ihren anhaltenden Erfolg. Mit der programmatischen Ausrichtung auf die Rezipienten einer (politisch-administrativen) Region waren die Intelligenzblätter Vorläufer der modernen Lokalpresse. So erscheinen manche der ehemaligen Anzeigenblätter in modifizierter Form als politische Tageszeitungen noch heute, zum Beispiel seit 1743 die Bremer (wöchentlichen) Nachrichten.
Die Erforschung des Intelligenzwesens schließt nicht nur eine Lücke in der Pressegeschichte der Frühen Neuzeit, sondern bietet vielmehr die Möglichkeit, kulturgeschichtlich relevante Untersuchungsfelder exemplarisch zu betrachten: Systeme zur Ordnung und Organisation von Wissen, Bedingungen der Akzeptanz neuer publizistischer Medien, die Ausbildung neuer Kommunikationsstrukturen, publizistische Einflussmöglichkeiten auf die Festigung regionaler Identitäten oder auch Voraussetzungen und Wandlungen des Konsumverhaltens sind nicht nur für die Gesellschaft der Vormoderne grundlegende Fragen, die am Beispiel des frühneuzeitlichen Pressewesens analysiert werden.
Der Abschluss des Projektes wurde mit einem Habilitations-Stipendium der FAZIT-Stiftung gefördert.